Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Die Schweizer 8-Tage-Regel und die EU-Entsenderichtlinie

Die reformierte EU-Entsenderichtlinie vom 16.12.1996 (Richtlinie 96/71/EG) sieht vor, dass die nationalen Regeln des Arbeitsrechts, einschliesslich der Lohnregeln, am Arbeitsort auch für Arbeitnehmer gelten, die grenzüberschreitend tätig sind (sog. entsandte Arbeitnehmer).

D.h. auf die Schweiz bezogen: das Schweizer Arbeitsrecht ist auf das Arbeitsverhältnis entsandter Arbeiter anwendbar, auch bezüglich der Löhne.

Mit großer Mehrheit hat das EU-Parlament im 29. Mai 2018 in Strassburg eine Weiterentwicklung der EU-Entsenderichtlinie in diesem Sinne beschlossen [52016PC0128, Änderung der Richtlinie 96/71/EG].

Lohn-und Sozialdumping sollen bei grenzüberschreitender Arbeit vermieden werden.

Die Mitgliedstaaten haben zwei Jahre Zeit die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Nach diesen neuen, im gesamten europäischen Binnenmarkt geltenden Regeln müssen Betriebe, die grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen möchten, den Behörden am Arbeitsort spätestens bei Beginn der Arbeiten eine Meldung machen.

Meldepflichten nach EU-Recht

Die Meldung muss Folgendes umfassen:

  • Name und Adresse der Firma
  • Anzahl der Mitarbeiter, die am Arbeitsort tätig sind
  • Benennung eines Ansprechpartners für Behörden und Gewerkschaften
  • Datum des Arbeitsbeginns und voraussichtliche Dauer der Arbeit
  • Adresse des Arbeitsorts
  • Art der ausgeführten Arbeiten

Sodann müssen die Betriebe die Unterlagen über die Löhne, Arbeitszeiten sowie den Vertrag mit dem Auftraggeber den kontrollierenden Behörden am Arbeitsort durch den Ansprechpartner zur Verfügung halten.

Gewerkschaften am Arbeitsort haben das Recht, sich an der gerichtlichen Durchsetzung der Lohnansprüche der Arbeitnehmer am Arbeitsort zu beteiligen.

Meldepflichten nach Schweizer Recht

Die Schweiz fordert seit 1. April 2006 von EU-Handwerksbetrieben, die einen Auftrag aus der Schweiz erhalten haben, zusätzlich Folgendes:

  • Die Meldung an die kantonalen Behörden muss schon 8 Tage vor Arbeitsbeginn erfolgen.
  • Die Meldung muss detaillierte Personaldaten über die beschäftigten Arbeitnehmer, über ihre Funktionen und über ihre Löhne enthalten.
  • Die Meldung muss auf gebührenpflichtigem CH-Formular erfolgen.

Die EU betrachtet die weiter gehende Anforderung der Schweiz als diskriminierende protektionistische Schikane. Sie haben nach Ansicht der EU primär den Zweck, Handwerksbetriebe aus der EU vom Schweizer Markt fernzuhalten.

Das Personenfreizügigkeitsabkommen

Mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen vom 21. Juni 1999 (PFZA) haben sich die Schweiz und die EU gegenseitig zugesagt, grenzüberschreitend tätige Betriebe aufgrund der Staatsangehörigkeit nicht zu diskriminieren.

Die Regeln des freien Personenverkehrs, wie sie innerhalb der EU zur Anwendung kommen, gelten aufgrund des PFZA auch für die Schweiz.

Seit über zehn Jahren streiten sich die Schweiz und die EU über die Frage, ob wegen der Sondervorschriften der Schweiz für die Ausführung grenzüberschreitender Arbeiten von Handwerksbetrieben eine Diskriminierung vorliegt oder nicht. Der gemeinsame Beamten-Ausschuss CH/EU war ausserstande, die Frage zu entscheiden.

Streit um Banalität und seine Folgen

Der Streit betrifft eigentlich eine bürokratische Banalität, hat aber das Verhandlungsklima zwischen der Schweiz und der EU über die Jahre nachhaltig vergiftet. In der EU haben sich alle Ebenen damit befasst: EU-Kommission, EU-Rat, EU-Parlament, EU-Mitgliedstaaten. In der Schweiz hat der Bundesrat die Angelegenheit im Blick auf die Rechtsnationalen und die Gewerkschaften stets unter dem Deckel gehalten und Verhandlungen schlichtweg abgelehnt, was sich heute rächt.

Insbesondere hatte diese Taktik die Forderung der EU nach einer verbindlichen Streiterledigung durch den EuGH oder ein Schiedsgericht mit Bindung an die EuGH-Rechtsprechung zur Folge.

Hier liegt der Ursprung des sog. Rahmenabkommens, das der Bundesrat jetzt doch abschliessen möchte, um den Zugang der Schweizer Börse zum Europäischen Binnenmarkt auch ab 2019 sicherzustellen. Geht es um den Finanzmarkt, laufen die Uhren in Bern regelmässig schneller.

Eine sachliche Begründung des Bundesrates und der Gewerkschaften, weshalb die in der EU-Richtlinie 2014/17 genannten Massnahmen für die Lohnkontrollen nicht ausreichen, steht bis heute aus.

Das stützt die Vermutung, dass es in Tat und Wahrheit um simplen Protektionismus geht.

Gewerkschaften wollen Protektionismus

Die Gewerkschaften möchten – nach ihren Verlautbarungen - den diskriminierenden Protektionismus ohne Abstriche aufrecht halten, im Wissen, dass sie damit in einer Volksabstimmung, mit Unterstützung der Rechtsnationalen, gute Chancen haben.

Von der Sache her bleibt unverständlich, weshalb die in der EU-Richtlinie vorgesehenen Massnahmen für den berechtigten Arbeitnehmerschutz nicht ausreichen sollen und man auf Schikane der grenzüberschreitenden Betriebe setzt.

Aber eben: es geht nicht um gleiche Arbeits- und Lohnbedingungen für die dort Beschäftigten, man will sie – als unliebsame Konkurrenten – einfach weg haben.

Und wenn das ohne Verabschiedung aus dem Binnenmarkt nicht geht, was die Linke weiss, möchte sie mit Hilfe staatlicher Regulierung als primäres Ziel die Macht ihrer Organisationen am Arbeitsmarkt kräftig ausbauen.

Die Rolle der Rechtsnationalen

Die fundamentalistischen Rechtsnationalen, die mehr als einen Viertel der Parlamentssitze belegen, sind der Linken bei diesem Vorhaben eine sehr willkommene Unterstützung.

Die Rechtsnationalen lehnen jede Vereinbarung mit der EU ab, gleich welchen Inhalts. Eine Parlamentsmehrheit für eine Vereinbarung ohne Unterstützung der Linken ist damit ausgeschlossen.

Die Linke lässt sich ihre Zustimmung teuer bezahlen: mit Hilfe obligatorischer GAV wollen die Gewerkschaften die Macht am Arbeitsmarkt zurückgewinnen und ihre Mitgliederzahlen vom Niedergang bewahren.

Die Arbeitgeber und ihre Verbände erhalten die berechtigte Quittung für ihre langjährige massive finanzielle Förderung der Rechtsnationalen. Man muss sie also nicht bedauern. Die Arbeitgeber und insbesondere die KMU können sich bei den Rechtsnationalen für die kostentreibenden neuen bürokratischen Auflagen am Arbeitsmarkt bedanken.

Unter Druck wegen Äquivalenz

Ungünstig für die Schweiz ist, dass sie bei der EU zahlreiche Begehren um Anerkennung der Äquivalenz ihrer Regulierungen anhängig hat, u.a. bezüglich der Schweizer Börsenregulierung. Äquivalenz ist Bedingung für den Zugang zum europäischen Binnenmarkt.

Es steht im freien Ermessen der EU, auf Äquivalenzbegehren von Drittstaaten einzutreten oder nicht einzutreten. Im Falle einer negativen Volksabstimmung dürfte die Bereitschaft der EU, Äquivalenz von Schweizer Regulierungen anzuerkennen, deutlich abnehmen.

Der EU-Rat hatte schon 2014 der Schweiz mitgeteilt, die EU werde – solange kein institutionelles Abkommen besteht – bei neuen Abmachungen von Fall zu Fall entscheiden, ob die Interessenlage ausgewogen sei.

Verhandlungstaktisch ist es innenpolitisch unklug, die Ausgestaltung banaler bürokratischer Meldepflichten zu roten Linien zu erklären.

Damit wird nur der Preis für die Zustimmung der Linken in die Höhe getrieben. BR Cassis ist der Linken in die intelligent gestellte Falle gelaufen.

Bis im Herbst steigt wegen der diversen Äquivalenzverfahren der Handlungsdruck in Bern. Zu erwarten ist, dass Linke und Gewerkschaften den verlangten Preis erhalten, die Macht der Gewerkschaften gestärkt und die Regulierung des Schweizer Arbeitsmarktes ausgebaut wird.

Anderseits wird sich im Parlament eine Mehrheit für die Vereinbarung mit der EU finden.

Die Rechtsnationalen werden – wie immer – Zeter und Mordio schreien. Sie aber sind die Verursacher der geschwächten schweizerischen Verhandlungsposition, innen- wie aussenpolitisch, und der fortschreitenden Bürokratisierung des schweizerischen Arbeitsmarktes.

24.06.2018

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